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rik Oktober 2016

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Musik PATRICE FOTOS:

Musik PATRICE FOTOS: BARRON CLAIBORNE

Schon zu Anfang seiner Karriere war Patrice ein freundlicher, intelligenter junger Mann, der offen, charmant und vor allem sehr entspannt antwortete. Seine Ruhe übertrug sich auf die Menschen in seiner Umgebung. Es gab kein Aufplustern und auch keine Unsicherheit. Er war erst Anfang zwanzig, doch er strahlte bereits Reife aus, und es schien, als hätte seine Wahl, Musiker zu sein, nichts damit zu tun, reich und berühmt zu werden oder Selbstzweifel und Ängste zu kompensieren. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wenige sind so leichtfüßig ihren Weg gegangen und haben dabei einfach nur ihre Ideen umgesetzt. So hat er zum Beispiel erst kürzlich eine Art Best-of- Album aufgenommen, auf dem er seine Lieder komplett neu eingespielt hat, um dann ganz spontan zu beschließen, dass der neue, als begleitende Single gedachte Song „Burning Brigdes“ ein eigenes Album verdient. „Life’s Blood“ ist vielleicht sein lockerstes, aber definitiv sein buntestes Album geworden. Er hat alles zugelassen, und dass Starproduzent Diplo und die Picard Brothers für die Single mitverantwortlich zeichnen, gibt ungefähr die Richtung vor. „Wir sind die Zukunft in der Gegenwart“ Aber das Ganze geht ein bisschen tiefer, unter der lockeren Oberfläche steckt mehr. „Wir sind die Zukunft in der Gegenwart“, singt er auf Englisch schon im zweiten Track auf „Life’s Blood“. Denn obwohl das neue Album aus einem eher losen und freien Konzept heraus entstanden ist, hat Patrice beim nachträglichen Interpretieren einen oft ernsthaften Kern in diesen eigentlich sonnigen und verspielten Liedern gefunden. „Es ist nicht so, dass ich genau sagen kann: Das ist meine Intention. Klar geht es in ‚Out in the open‘ darum, dass wir von einer Norm ausgehen, die nicht normal ist. Man ist hier mehr wert als jemand in Burkina Faso oder in Syrien. Man hat hier Anrecht auf bestimmte Sachen. Dieses Anrecht haben diese Menschen nicht. Und wir denken, das wäre normal.“ Er sieht eine Welt, die auf dieser Basis aufgebaut ist, ein Zustand, der so nicht gut gehen kann, denn dieser Status quo wird nur mit Gewalt erhalten. Etwas, das zu Extremen führt und zur Trennung der Menschen und Kulturen untereinander. Doch genau dagegen positioniert er sich – und nicht nur sich allein. „Was ich mit dem Album sage, ist ja: We are the future in the present! Wir sind kulturell gemischt, wir machen Yoga und was immer uns gefällt. Wir picken heraus, was wir gut finden, aus jeder Kultur. Es hat nichts damit zu tun, woher es kommt, sondern ob es uns schmeckt und ob wir es mögen. Das ist die Zukunft, der natürliche Lauf der Dinge. Und alle, die dagegen kämpfen – das ist einfach unnatürlich –, die müssen mit Gewalt arbeiten, mit Fanatismus. Wir müssen uns viel klarer positionieren – genauso wie das ein aufrechter Mensch tut. Die Mitte müsste viel unschwammiger sein.“ Was man gerne vergisst, wenn man in den Großstädten lebt und – wie auch Patrice – in einer Art Blase existiert, in der man vor allem Menschen kennt, die auf der gleichen Wellenlänge sind. Man nimmt es fast als gegeben hin, dass alle frei und offen denken … Umso schockierter ist man dann, wenn man merkt, was andere denken und fühlen, und wenn man sie handeln sieht. Doch auch diese Theorie muss er wieder eingrenzen, denn gerade in seinen Genres Reggae und Dancehall gibt es Extremisten des Schwulenhasses und des Sexismus. „Aber auch das ist gegen die Zukunft!“ Patrice schüttelt erregt den Kopf. „Auch Sachen wie Religion und solche Dinge, die rechtfertigen damit nur irrationales Verhalten. Man kann damit jede Aktion rechtfertigen. Man sagt ,Ja, aber das steht da so!‘ oder ,Gott hat mir das so gesagt!‘ … All das ist nicht mehr zeitgemäß.“ Er hat dabei nichts gegen Religion, aber er definiert es als eine private und intime Sache. „Oder auch nur ,Ich weiß es besser!‘ – das ist schon eine Aussage, die bereits einen gewissen Gewaltakt in sich trägt, weil sie andere wegstößt und ausgrenzt. Ein Mensch sollte vor all diesen Ideen stehen.“ Das alles klingt erheblich dramatischer als die Musik, in die diese Ideen gepackt sind, denn es geht natürlich noch um andere Bereiche des Lebens: von Liebe und dem Elend leerer One-Night-Stands bis hin zum Feiern des Lebens. Und immer und überall kommt Musik sein Grundoptimismus heraus. Wie in der Zeile „Regardless how fucked up – it’s still a beautiful world“. „Wir sind hier gegen jede Wahrscheinlichkeit. Überhaupt die Existenz dieser Welt! Was in unseren Körpern alles richtig laufen muss, damit sie halbwegs funktionieren. Wenn man aufsteht, sollte man sich denken: ,Krass, ich bin aufgestanden!‘“, lacht er. „Dann kann man über all das Schlimme reden. Aber wir sind erst einmal da!“ Das sagt einer, der am Tag der Attentate in Paris – unter anderem auf das Bataclan – in der Stadt und in der Nähe gewesen ist. Dieses Viertel ist eine zweite Heimat für ihn. „Ich habe dort selbst öfter gespielt. Die Menschen, die das Konzert veranstaltet haben, arbeiten in meiner Booking-Agentur. Ich sehe die Bilder im Fernsehen und kenne die Gesichter. Dieser Abend hat Paris verändert, dieser Abend hat die Menschen in Paris verändert“, erzählt Patrice. „Am nächsten Morgen saß eine ältere Dame neben mir im Café und sprach mich an. Normalerweise ignoriert man hier seine Tischnachbarn, doch an diesem Tag unterhielten sich alle. Die Menschen standen unter Schock – und sind näher zusammengerückt. Das berührt tief.“ Doch die daraus resultierenden Entwicklungen haben diesen Moment nicht aufgegriffen. „Der Spirit ist in Frankreich gebrochen, das muss man sagen. Der ganze, ich will nicht sagen ,Dreck‘, wird jetzt hochgespült. Dank Trump, AfD und Le Pen können sie endlich mal den Mund aufmachen, sind im Mainstream.“ Nein, Patrice sieht eine andere Welt – und er lebt in ihr. Ein Weltbürger, der in Deutschland, in Paris, in Brooklyn und auf Jamaika zu Hause ist und der überall seine Musik entstehen lässt. Er erinnert daran, dass wir in der Mehrzahl sind und dass wir überall auf der Welt leben. „Life’s Blood“ – auch wenn es nur ein Reggae-Album ist, das tausend Einflüsse zu einer lebendigen Pop-Platte mischt – feiert genau das: eine andere Art zu denken und zu handeln. „Darum sind wir die Zukunft in der Gegenwart.“ •fis

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