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rik August 2018

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16 KÖLN INTERVIEW

16 KÖLN INTERVIEW „Ein Plädoyer fürs Leben“ FOTO: GABY GERSTER Unser Interview mit Georg Uecker, dem ersten so richtig schwulen Mann in der deutschen Fernsehlandschaft – der auch ein Buch geschrieben hat: „Ich mach' dann mal weiter!“. Herzlichen Glückwunsch zu deinem Einstieg in die SPIEGEL-Bestsellerliste. Dein Buch scheint den Menschen zu gefallen. Guten Morgen, herzlichen Dank. Es mag abgedroschen klingen, aber ich habe mit diesem Erfolg wirklich nicht gerechnet. Umso mehr freut es mich natürlich. Wie würdest du kurz und knapp dein Buch zusammenfassen? Es ist ein Plädoyer fürs Leben. Mit allen Höhen und Tiefen. War es schwer, persönliche Erinnerungen und den Anspruch an das Widerspiegeln der damaligen Zeit in Einklang zu bringen? Es war ein Spagat. Ob dieser gelingt, kann einem vorher niemand genau sagen. Ich habe es versucht, und das bisherige Feedback von Leserinnen und Lesern zeigt, dass es mir gelungen ist, bei diesem Spagat nicht umzufallen. Wann kam für dich der Moment im Leben zu sagen, JETZT schreibe ich ein Buch? Ich habe diese Entscheidung jahrelang vor mir hergeschoben. Ursprünglich kam mir die Idee, weil viele Menschen in Gesprächen immer wieder sagten: „Das musst du aufschreiben.“ Offensichtlich erreichen meine Erlebnisse also die Menschen. Und zum Teil wollten sie mehr wissen. Erst hatte ich zu viel zu tun, und man braucht ja Zeit für ein Buch. Und dann habe ich, wie es sicherlich viele Menschen auch in anderen Dingen tun, das Projekt auf die lange Bank geschoben. Nächste Woche fang ich an … Nächsten Monat fang ich an … So ist die Zeit verstrichen. Mit einem eigenen Buch hat man in meinen Augen auch eine gewisse Verantwortung. Es gibt so viele schlechte Bücher. Und es sterben immerhin auch Bäume dafür. Ich finde, man muss sich sicher sein, auch wirklich etwas erzählen zu können mit seinem Buch. Dein bisheriger Lebensweg ist stark mit der Entwicklung der Fernsehgeschichte, aber auch der Schwulenbewegung verbunden. Bei beidem bist du nicht wegzudenken. Wir haben mit der ersten deutschen Langzeitserie, also mit der „Lindenstraße“, Mitte der 80er-Jahre angefangen. Es war Neuland für alle. Damals gab es in den meisten Haushalten nur drei Fernsehprogramme. Dadurch erklärt sich die enorme Aufmerksamkeit, die uns zuteilwurde. Wir haben einen schwulen Charakter in einer Familienserie etabliert und dadurch auch die Zuschauer erreicht, die das eigentlich nicht sehen wollten. Diese „Sichtbarkeit“ war und ist enorm wichtig. Man darf nicht vergessen: Der Paragraf 175 wurde zwar immer wieder mal liberalisiert, aber letztlich erst 1994 abgeschafft. Für mich als schwulen Mann war das immer auch ein Thema, das in die Öffentlichkeit gehörte. Wie hast du geschrieben? Brauchtest du einen geregelten Ablauf oder kamen immer mal Passagen zu Papier, wenn sie dir spontan einfielen? Ich habe viel nachts geschrieben. Wenn es ruhig war. Ich habe mich dann hingesetzt und in mich hineingehört. Keine Musik, keine Anrufe. Du versuchst dann, die Gefühle der damaligen Situationen nachzuempfinden. Das kann mal wunderschön sein – und manchmal auch das genaue Gegenteil. In der Zeit des Buchentstehens habe ich auch kaum noch Interviews gegeben. Ich habe weiterhin gedreht, aber mich ansonsten eine Zeit lang zurückgezogen und ein Konzept entwickelt, um die ganze Geschichte zu erzählen. Interviewfragen spiegeln ja oft auch nur einen Teil des Ganzen wider. Du gehst jetzt sehr offen mit der Diagnose, HIV-positiv zu sein, um. Auch hier tut eine gewisse Sichtbarkeit not. Es ist nichts, wofür man sich schämen oder verstecken müsste. Außerdem gibt es immer noch zu viel Un- und Halbwissen. Einige schrieben, ich hätte eine „HIV- Erkrankung“. Diesen Begriff gibt es nicht. Ich habe eine HIV-Infektion, und wenn man nicht aufpasst und sich nicht behandeln lässt, kann es zu einer Erkrankung führen, die Aids heißt. Du beschreibst im Buch den Tod deines Mannes John vor 25 Jahren. Als du das Kapitel über ihn geschrieben hast, kamen da nicht automatisch auch die ganzen schmerzvollen Erinnerungen wieder hoch ans Tageslicht? Ja. Sie kommen vielleicht nicht so hoch wie bei jemandem, der den Schmerz verdrängt. Ich bin immer offen mit meiner Trauer umgegangen, habe den Schmerz

KÖLN 17 auch zugelassen. Dadurch ist es jetzt wie eine Narbe. Man hat sie ein Leben lang. Sie bleibt. Aber sie schmerzt nicht mehr jeden Tag, und manchmal wird man durch sie auch wieder an die schönen Momente vor dem Abschied erinnert. An anderen Tagen wiederum schmerzt die Narbe. Das Bild einer Narbe finde ich in diesem Zusammenhang sehr passend. Ich habe den Schmerz um seinen Tod nie verdrängt, insofern lernte ich, ihn in mein Leben zu lassen. Beim Schreiben der Zeilen für das Buch kommen dann aber zwangsläufig Erinnerungen. Und mit ihnen auch die Tränen. Kann man Abschiednehmen mit den Jahren – und der daraus resultierenden Häufigkeit von Abschieden – lernen? Wird es leichter mit der Zeit? Nein, das kann man nie. Ein Abschied ist immer ein harter Einschnitt. Du lernst nur damit umzugehen, dass es Abschiede im Leben gibt. Man lernt den Umgang mit seiner eigenen Trauer. Es gab Zeiten, da war ich mehr auf Beerdigungen als auf Geburtstagsfeiern. In den ersten Jahren war die Medizin bei HIV-Infektionen noch weit von den heutigen Möglichkeiten entfernt. Konntest du mit John über den Tod sprechen? Ihr wart beide junge Männer, in einem Alter, in dem der Tod normalerweise noch lange kein Thema ist. Wir mussten es lernen. Man kann sich nie auf den Tod vorbereiten. Man spricht im Idealfall offen darüber, aber wenn der Moment kommt, wirst du vom Schmerz eingeholt. Es war der 18. Januar 1993, als John starb. Danach versuchst du zu funktionieren. Du organisierst die Beerdigung mit allen Formalitäten. Das lenkt auch erst mal ein wenig ab. Der richtig schwere Teil kommt nach der Beerdigung, wenn der Alltag wieder ins Leben eintritt. Ab einem gewissen Zeitpunkt erwartet die Allgemeinheit, dass man wieder funktioniert. Als Betroffener, tief in Trauer, bleibt das unvorstellbar für dich. Du verarbeitest die Trauer Stück für Stück. Und in genau diesen Zeitrahmen der Trauerarbeit kam dann meine eigene Doppeldiagnose. Du bist für die Schwulenszene eine wichtige Person. Dein Serien-Alter- Ego „Carsten Flöter“ hatte den ersten Kuss zwischen zwei Männern in einer deutschen Fernsehserie. Sicherlich war die „Lindenstraße“ auch in Sachen „schwule Serienfigur“ ein Wegbereiter. Ich hatte mehr als mein damaliger Serienpartner Martin Armknecht, der die Rolle „Robert Engel“ spielte, böse Post bekommen. Es reichte bis zur Bombendrohung gegen die Produktion, zeitweise bekam ich Personenschutz. Martin Armknecht erhielt auch nicht nur lobende Briefe, aber er war im Gegensatz zu mir heterosexuell. Ich war für die homophoben Vollpfosten die ideale Zielscheibe ihres Hasses, da ich auch privat offen schwul war. Jahre später hatten auch andere Serien wie „Verbotene Liebe“ ihre schwulen Storylines. Der Aufschrei war längst verflogen. Wir müssen als Schwule nur aufpassen, dass wir uns nicht selbst in das Klischee der jungen und schönen Schwulen zurückziehen. Auch wir werden älter. Umso spannender finde ich, dass die „Lindenstraße“ mich als nun älteren schwulen Mann ein Singleleben in der Serie leben lässt. *Interview: Marcel Schenk *Marcel Schenk moderiert seit 2009 für diverse Radio- und Fernsehstationen. Aktuell sieht man ihn bei 1-2-3.tv (Deutschlands drittgrößtem Shoppingsender). Marcel liebt die Popmusik der 1980er-Jahre und Kultserien wie „Falcon Crest“ und „Lindenstraße“.

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