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hinnerk Januar 2018

MUSIK WIRTZ „Ich bin

MUSIK WIRTZ „Ich bin Vater geworden, und dann sieht man die Welt mit anderen Augen.“ INTERVIEW FOTO: STEFAN LECHTHALER

MUSIK Es gibt sie noch, die Selfmade- Künstler, die über die Jahre einfach ihr Ding machen und sich einen feuchten Dreck um Major- Deals oder soziale Medien kümmern, die nur in Ruhe ihre Musik machen – und damit ihr Publikum finden. So bekommt man Fans, die mittlerweile so zahlreich sind, dass das neuste Album auch schon mal auf Platz drei der Charts einsteigen kann. Dass einer dieser außergewöhnlichen Musiker aber ausgerechnet Daniel Wirtz sein würde, für den es als Sänger von Sub7even steil nach oben und dann genauso schnell wieder runterging, darauf hätte 2007, als er seine Solokarriere begann, niemand auch nur einen Cent gewettet. Doch diese überraschende zweite Karriere machte ihn vom Helden seiner Fans zur einer Rockgröße des Landes. Als Wirtz zusammen mit dem Produzenten Matthias Hoffmann vor zehn Jahren die ersten Lieder auf Myspace hochlud, ahnte er nicht, dass das der Neubeginn sein würde. Er steckte damals bis zum Hals in einer Lebenskrise und die ersten Songs waren vor allem brutal ehrliche Abrechnungen und Aufarbeitungen. Er sang damals auch das erste Mal auf Deutsch … und etwas Eigenartiges geschah: Über die folgenden Jahre wuchs seine Gefolgschaft, ohne dass es dazu Werbung, Fernsehauftritte oder Unterstützung großer Labels bedurfte. Seine Fans brachten Wirtz einfach ihren Freunden näher, und so wurden es mehr und mehr, die seine Konzerte besuchten und seine Musik kauften – so lange, bis er plötzlich mit „Akustik Voodoo“ in den Top Ten der Albumcharts auftauchte und man sich fragte, wie das überhaupt möglich war. „Das fragen sich einige Plattenfirmen heute noch“, lacht er. „Aber das kennt man doch: Wenn jemand, der mir etwas bedeutet, eine Empfehlung gibt, dann gehe ich da hin oder kaufe es.“ Vor zwei Jahren lernte ihn dann endlich auch der Rest der Republik kennen – er wurde zu „Sing meinen Song“ eingeladen und sang plötzlich mit den bekanntesten Namen des Musikgeschäfts. Kurz danach bekam er mit „One Night Song“ sogar seine eigene Sendung, ohne je danach gesucht zu haben. Deshalb erscheint sein neues Album „Die fünfte Dimension“ unter einem ganz neuen Stern – es gibt heute sehr viel mehr aufmerksame Augen und Ohren, die auf ihn neugierig sind. Denn ob er es schon akzeptiert hat oder nicht, er ist oben angekommen. „Ja, die letzten zwei Jahre waren für mich sehr aufregend, im guten Sinn“, stellt er fest und klingt dabei, als FOTO: NADA LOTTERMAN würde es ihn immer noch wundern. „Wenn Udo Lindenberg anruft, um mit ihm die großen Stadien zu spielen, Xavier Naidoo dich mit auf Tour nimmt, wenn du aus deinem kleinen, süßen, überschaubaren Rock ’n’ Roll-Zirkus rausgerissen wirst und auf einmal auf dem roten Teppich beim ECHO oder Bambi läufst – dann ist das ein komplett anderer Kosmos.“ Natürlich ist das nicht der einzige Unterschied zu damals, als er sich entschlossen hatte, neu anzufangen. „Die erste Platte hat mir den Arsch gerettet. Das war Eigentherapie. Aber es gibt jetzt natürlich auch andere Sorgen und andere Ängste. Ich bin Vater geworden, und dann sieht man die Welt mit anderen Augen. Wenn du zum Beispiel siehst, was in Europa los ist, wie die Freiheit in Gefahr ist, wie Rechtspopulisten an die Macht kommen, dann denke ich an die Zukunft meines Kindes und wie er wohl leben wird.“ Zum Beispiel wie in dem Lied „Das verheißene Glück“. „Da geht es darum, dass man sich fragt, wie das damals vor über siebzig Jahren passieren konnte. Da waren doch auch Leute wie wir, bei denen die Alarmglocken geschrillt haben! Es wird in der Türkei so sichtbar, denn da werden genau diese Menschen mal schnell weggesperrt, man regiert mit Angst und keiner macht mehr das Maul auf, weil die, die es getan haben, ins Ausland geflüchtet sind oder im Knast sitzen. Ich habe es nicht so mit dem Zeigefinger und will mich nicht als Politexperte aus dem Fenster hängen, der Song soll eher sagen: Du, das ist schon das eine oder andere Mal schiefgegangen, das kann man nachlesen. Es kann also jederzeit wieder schiefgehen, wenn man nicht aufmerksam bleibt.“ Aber nicht nur er hat sich entwickelt, auch seine Fans mussten sich anpassen und akzeptieren, dass mit seinen Auftritten bei „Sing meinen Song“ Wirtz jetzt nicht mehr nur ihnen gehört. „Da gab es ein Beben, Richterskala 7,5! Jetzt ist der Ausverkauf gekommen!“, lacht er. „Aber als die erste Sendung lief, sind auch achtzig Prozent wieder zurückgerudert. Ich kenne meine Leute ja und wusste, wenn sie es sehen, in der Art und Weise, wie ich meine Lieder darbiete, und dann nicht verstehen, dann hätte ich sie falsch eingeschätzt. Sie alle wollten ja immer, dass mehr auf mich aufmerksam werden. Aber sie hatten Angst, dass man mich anders darstellt als ich bin, oder die Person, die ihnen wichtig ist, ein bisschen zum Clown macht oder ich mich verbiege.“ Aber natürlich begann Daniel nicht, sich für ein paar Fernsehauftritte zu verändern – dafür geht er zu lange seinen eigenen Weg. Auch als er sich entschloss, das Angebot anzunehmen und mit „One Night Song“ seine ganz eigene Fernsehsendung bei VOX zu machen, musste das Format zu ihm passen und nicht umgekehrt. „Sie haben mehrerer Konzepte eingereicht und irgendwann auch dieses. Da kann ich rauchen und trinken im deutschen Fernsehen – das kann man machen!“, lacht er. Dort singt er mit seinen „Blind Date“-Überraschungsgästen – von Henning Wehland bis Wolfgang Niedecken, von Max Mutzke bis Ella Endlich. Trotzdem hat er noch immer Hemmungen, sich einfach bei den großen Namen einzureihen. „Ich darf mich in dieser Liga bewegen und ganz viel lernen, aufsaugen und für mich rausziehen“, beschreibt er seine Situation. Andererseits passieren ihm jetzt Dinge, die nun wirklich nicht jeder von sich berichten kann: „Als ich jetzt gerade das Video zur Single ,Gib mich nicht auf‘ hochgeladen habe, gab es nachts um 5:34 Uhr eine SMS von Udo, der total ausflippt und es abfeiert und das Video teilt … Da kann ich nur sagen: Das ist echt ein geiles Gefühl, auch und gerade weil es eben doch noch eine andere Liga ist.“ *fis

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