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blu Juni 2018

6 STADT Nach wie vor ist

6 STADT Nach wie vor ist Sexarbeit Ziel moralischer Angriffe. Das Prostituiertenschutzgesetz könnte dies noch verschlimmern. GESELLSCHAFT DR. GOTTFRIED LORENZ: „Das Prostituiertenschutzgesetz ist ein Prostituiertendiskriminierungsgesetz!“ Dr. Gottfried Lorenz ist den meisten durch seine Arbeit am Stolpersteinprojekt für homosexuelle Opfer der Nationalsozialisten und die Aufarbeitung der Verfolgungsgeschichte in der Hansestadt Hamburg nach 1945 bekannt. Ein weiteres Thema, das Lorenz seit einigen Jahren unter anderem in Vorträgen einem Publikum nahebringen will, ist die mann-männliche Internetprostitution. Über einhundert Interviews mit Sexarbeitern führte der 77-Jährige, erstellte sich sogar selbst Escort-Profile und machte so Erfahrungen aus erster Hand. Der daraus entstandene Erfahrungsbericht der Prozedur der Registrierung ist eine deutliche Warnung vor staatlicher Gängelung, Menschen- und Sexualfeindlichkeit und ein Plädoyer für die Abschaffung des Prostituiertenschutzgesetzes. Dr. Lorenz gestattet den auszugsweisen Abdruck. *ck GEFAHR DER INDISKRETION UND ROSA LISTEN Ausgesprochen problematisch ist, dass die Daten der aufgrund dieses Gesetzes registrierten Menschen nicht nur bei der zuständigen Dienststelle erfasst, sondern unverzüglich an die Finanzämter weitergeleitet werden. Nun müssen sich vermutlich nicht allzu viele Nebenjob-Dienstleister aus finanziellen Gründen über diese Weiterleitung Gedanken machen, da ihre monatlichen Einkünfte wohl selten die Grenze der Steuerpflicht überschreiten. Gedanken aber muss man sich machen, ob die Prostituierten-Daten bei den Finanzämtern wirklich geheim bleiben und nicht vielmehr einen Anreiz für Indiskretionen oder auch Erpressungen bieten. Wer sich registrieren lässt, erhält eine lindgrüne Anmeldebescheinigung mit dem Text: „Die Inhaberin/der Inhaber dieses Dokumentes hat eine Tätigkeit nach § 3 ProstSchG angemeldet“ (plus englische Version). Dieser „Hurenpass“ enthält Namen (oder Alias-Namen), Vornamen, Geburtsort, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Passbild, Tag der Ausstellung, Gültigkeitsdatum (im konkreten Fall bis 17.12.2020), Geltungsbereich (im konkreten Fall: alle Bundesländer) und nennt die ausstellende Behörde (im konkreten Fall: Hamburg, BA Altona) sowie die Verwaltungsnummer (im konkreten Fall A/FABEA (A)…). Diese Anmeldebescheinigung ist bei der Sexarbeit mitzuführen zusammen mit der oben erwähnten von der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz ausgestellten „Bescheinigung über die gesundheitliche Beratung nach § 10 ProstSchG“. DER „BOCKSCHEIN“ IST ZURÜCK Damit ist der alte „Bockschein“ in abgeschwächter Form wiederauferstanden. Und man hat den Verdacht, dass in absehbarer Zeit erneut eine zwangsweise Intimuntersuchung auf STDs (Sexually Transmitted Diseases = Geschlechtskrankheiten), wie sie das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten (GeschlKrG) volkstümlich Bockschein, vom 23.7.1953 bis zum 31.12.2000 vorgesehen hatte, verordnet werden wird. Ich halte dieses Gesetz für verheerend. Es ist kein Prostituiertenschutzgesetz, sondern ein Prostituiertendiskriminierungsgesetz. Ich kann aufgrund der geschilderten persönlichen Erfahrungen nur dazu raten, sich als haupt- oder nebenberufliche Sexarbeiterin oder Sexarbeiter – wenn nur irgendwie möglich – nach diesem Gesetz nicht registrieren zu lassen, da die Registrierung der Diskriminierung Tür und Tor öffnet, denn durch dieses Gesetz wird – wie oben erwähnt – eine unbescholtene Bevölkerungsgruppe prinzipiell unter Sonderrecht gestellt. Und wieder gehören schwule und lesbische Menschen dazu. *Dr. Gottfried Lorenz Der Erfahrungsbericht ist Teil des Buchs „Todesurteile und Hinrichtungen wegen homosexueller Handlungen während der NS-Zeit – Mann-männliche Internetprostitution. Und andere Texte zur Geschichte und zur Situation der Homosexuellen in Deutschland“, das im Sommer im LIT-Verlag Münster (www.lit-verlag. de) unter ISBN 978-3-643-13992-4 erscheinen wird.

Master André alias DOMINUS.BERLIN Jeder hat davon gehört, jeder hat schon mal (heimlich) im Internet angeschaut, was ein Master so macht, was S&M sein kann. Wir fragten direkt bei einem der bekanntesten Master nach. *rä Wie kommt man zu diesem Beruf? Liegt einem schon im Blut: Bereits als Kind gab es immer Fantasien bezüglich Erniedrigung und Sadismus und ich habe mehrfach davon geträumt, jemanden schön bei mir gefangen zu halten und dann immer mit demjenigen spielen zu können, wenn ich es will. Zudem wurde ständig Onkel Doktor gespielt und alle meine Freunde mussten in mein kleines Krankenhaus unter meinem Hochbett. Und nein: Ich bin nicht vergewaltigt worden oder Ähnliches. Hatte ne ganz normale Kindheit mit der üblichen rebellischen Phase in der Pubertät. Aber auch nur dann geht’s: Mach das, was dir Spaß macht, und nicht, was deine Nachbarn gern von dir hätten. Wie wirkt der Beruf sich auf dein Privatleben aus? Eigentlich nur so, dass ich privat jetzt nicht mehr so aufgeschlossen bin, als Dominus zu agieren. Ich bin zwar wirklich voll in meinem Element, wenn ich im Leder inmitten von Kerzen und sexuell aufgeladener Musik im Stahlraum vom Studio den Klienten begrüße, aber am Ende des Tages, wenn ich zu Hause ankomme, dann geht’s ab in die Hauspuschen, die Katze wird gefüttert und der Partner bekuschelt. Ich gehe davon aus, dass du deine Kunden nie grüßt, wenn du sie tagsüber etwa beim Einkaufen triffst, oder? Ist das nicht komisch? Ich komme selten in die Bredouille, weil meine Klienten aus allen möglichen Ecken der Welt herkommen. Wenn doch, dann verhält es sich wie bei allen anderen rein sexuellen (privaten) Sexpartnern: Da versteht man sich doch sofort über den „Sich-kurz-treffenden Blick“, und dabei belässt man es auch – kennt jeder. Achtest du auf Safer Sex? Absolut. Ich steige grade zusätzlich auf PrEP um, obwohl ich dem grundsätzlich sehr skeptisch gegenüberstehe, da ich Hepatitis- und Syphiliswellen auf uns zurollen sehe. Ich bleib daher bei ’nem Tütchen überm Lümmel bei der Penetration. Wie beurteilst du das neue Prostitutionsgesetz? Größter Schwachsinn ever. Meine Daten und die von Kollegen, die das professionell aufziehen, hatte das Finanzamt auch schon vorher, jetzt bekommt Deutschland die eben noch mal über das Ordnungsamt – und jetzt? Null Veränderung, denn wer STADT 7 ein Problem mit diesem Beruf hat oder hatte (aus welchem Grund auch immer), der meldet sich weder beim Finanzamt noch jetzt beim Ordnungsamt an, sondern hofft, dass er alles weiterhin schwarz machen kann, und nimmt das „bisschen mehr Illegalität“ locker in Kauf. Ändert sich etwas für dich? Nein, ich bin jetzt durch meinen Ausweis offiziell ein „staatlich geprüfter Prostituierter“. Nur einige meiner Kollegen und Kolleginnen mussten den Job an den Nagel hängen, weil sich das Risiko, dass die Daten in falsche Hände geraten, nun doch drastisch erhöht hat. Gott sei Dank ist mir persönlich das egal, aber eben vielen anderen (zum Beispiel Müttern oder Studenten) nicht. Fazit: Das war unfair, Deutschland. Was kann der Kunde bei dir erwarten? Seine dunkelsten Bedürfnisse werden befriedigt – das ist es und „das ist auch gut so“. Den üblichen Beischlaf überlasse ich den (Ehe-)Partnern oder anderen Kollegen. Meine monatliche BDSM-Kolumne online hat höchste Klickraten und wurde zwei Jahre in Folge zum „Best Master“ von GalerieDeSade gekürt – das rundet mein Bild ab. Wer mehr wissen möchte, der folgt mir einfach auf Facebook oder Twitter. Dort kommen auch meine Klienten immer zu Wort und ins Bild. www.dominus.berlin NACHGEFRAGT FOTO: WWW.DOMINUS.BERLIN

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